Gegen Morgen by Walther von Hollander

Gegen Morgen by Walther von Hollander

Autor:Walther von Hollander [Hollander, Walther von]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Saga
veröffentlicht: 2016-02-26T00:00:00+00:00


Der zehnte Tag

Ich erwachte vom Dröhnen eines Gelächters, vom Echo eines tierischen Schreies. Ich taumelte durch mein Gelächter, durch meinen Schrei in ein erschrecktes Wachsein. Ich hatte nicht daran gezweifelt. Ich hatte nicht daran gedacht. Aber es wird mir jetzt klar: Arbust lebt! Das bedeutet eine Niederlage, das ist ein Sturz, dessen Gewalt nur dadurch gemindert wird, daß sein Haß ihn zum Angeber macht. Er stellt sich auf die gleiche Stufe mit mir. Er fürchtet mein Entkommen. Er bemüht sich, meine Fesseln noch enger zu schnüren. Die vermauerten Ausgänge noch mit Eisentüren zu verrammeln. Er macht sich lächerlich, er hat Angst, der Herr Arbust.

Aber dieser billige Triumph schützt mich nicht vor der Erkenntnis, daß es ihm gelungen ist, aus der Quadrille der Toten davonzuschleichen, daß er, der sich viel tiefer in Clarissa festgerannt hatte als ich, von der Toten nicht nachgezogen wird. Er hat die Fesseln zerschnitten. Vielleicht hat ihn der Schnitt verstümmelt, aber so sehr ich suchte, ich fand keine Wunde. Er steht groß, blond, wurzelhaft, glattstämmig. Er steht und sieht an mir vorbei, ich vermag mich nicht in sein Blickfeld zu drängen.

Freilich, mein Nacken ist gebeugt. Die Toten sind mit Stricken um meinen Hals gebunden, und erst, wenn mein Kopf abgeschlagen ist, fallen sie von mir ab, fallen sie in den endgültigen Tod. Ja, sie verwesen an mir, und ich bin gezwungen, mich immer tiefer in die Verwesung zu beugen, mich immer tiefer in mein Vergangenes zu bücken.

Arbust lebt. „Man rutscht an ihm ab,“ klagte Clarissa, „man kann ihn ringsum befühlen. Aber man kann ihn nicht umfassen. Es ist alles glatt, geschliffen, gehobelt. Ich weiß nicht, ob er von Natur so wuchs, oder ob das seine Arbeit ist.“ „Aber man kann ihn beklettern, deinen Arbust“, lachte ich gemein. Clarissa schwieg. Sie zog sich ganz zurück. Ich weiß nicht, ob sie entsetzt, angeekelt oder erleichtert war. Mir gegenüber war sie unverändert.

Der Glattstämmige! Wahrhaftig, es ist mir nicht gelungen, was ich wollte. Ich wollte in die Wipfel dieses Baumes steigen, ich wollte die Gipfel dieser Buche in den Staub biegen. Ich kam nicht herauf. Starr, wie am ersten Tage, steht er vor mir! Es ist nicht gelungen.

Arbust, Ingenieur, aus einem reichen Hause stammend, vielgereist, vielgewandt, vom Kriege verschont durch die Erfindung einer besonderen Art von Pionierbrücke, einer Wurfbrücke, die bei den Flußübergängen des Vormarsches in Rußland eine wesentliche Rolle spielte; Arbust, ein schöner Kerl, riesig in Format und Appetit, ein unbekümmerter Fresser, ein berühmter Frauenheld, Arbust — ich muß es bekennen — ein fast vollkommener Mann, war mein Gegenspieler bei Clarissa. Mein Gegner, den ich schlug, um erschlagen zu werden, den ich verdrängte, um gehängt zu werden, den ich besiegte, damit er Sieger blieb. Hierum dreht es sich. Die Frage: Warum fiel ich? erweitert sich in das Rätsel: Er fiel nicht. Hier packe ich an.

Als ich Willstetten verließ, im Anfang Dezember 1918, fand ich ein ganz verändertes Deutschland wieder. Willsteten war eine Oase. Eckbohm hatte die typische Einstellung des fremd gewordenen Auslanddeutschen. Seine Teilnahme beschränkte sich innerlich auf die Sorge



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